MY DYING BRIDE meets CAPTAIN BEEFHEART (die durchgedrehte Fassung von Frank Zappa)? Doom meets Experimentalkrautrock meets Folk meets puren Wahnsinn? Spätestens bei "The battle hymn of the eristocracy" sollte jeder normalsterbliche Musikliebhaber ein "TILT" in den Augen stehen haben und bereit sein für Beruhigungspillen und E Schocks in der Klapse. Das allseits bekannte "John Brown's body (Glory Hallelujah)" wird hier zu einem abgeknallten, im Grunde schon bescheuert wirkenden Stück mit doomigen Gitarren, wie von Irrsinnigen gesungenen Vocals und einem mit kindlicher Naivität gemarterten Keyboard umfunktioniert. ZAPPA pur mit doppelt soviel verquerem Humor wie üblich. Oder nicht? In Worte zu fassen, was dieses finnische Quartett hier auf die Beine bringt, ist nicht immer wirklich einfach. Steckt hier auch der Jussi von Ektro Records dahinter, der mit seinen Bands CIRCLE, STEEL MAMMOTH und PHARAO OVERLORD bereits komplett der Welt entrückte Musik macht? Puuuh, gute Frage, nächste Frage. AARNI scheinen an ihrer eigenen Kreativität gescheitert zu sein. War der Vorgänger "Bathos" noch ein zwar buntes, vielseitiges, dennoch aber gut anhörbares Album, so ist "Tohcoth" ein sperriger Klangbrei, durchzogen von eigenwilligen okkulten Beschwörungen und bei "Logos" sogar gleich mit einem Gedicht von Aleister Crowley als Text. Das Album ist nicht alleine düster, es ist verdorben, verfault, verwest und schimmelig, ein noch zum Teil mit stinkendem Gammelfleisch überzogenes Skelett. Und genau das macht diese Scheibe so genial. Die wahnwitzige Umkehr der Schönheit ins absolute Gegenteil.
Dabei ist ein Teil der alten Anmut noch vorzufinden. Die melancholische Querflöte beim spartanischen Doom von "The hieroglyph" zum Beispiel. Spartanisch, weil der Song nicht wirklich monumental wird, dennoch aber eine doomige Stimmung verbreitet. Ein rockiger Part mit folkigem Sololauf der Gitarre und dunkler Stimme, die einen Text spricht, führt das Stück nach einer Weile in eine andere Richtung, man landet allerdings wieder beim spröden Doom, allerdings mit sehr krankem Gitarrensolo. Das hier ist schon ein sinist'res Klangkunstwerk und doch noch der eingängigste und am ehesten "Song" zu nennende Notenkonstrukt.
Kommerzgeilheit kann man AARNI ja nun nicht vorwerfen, eventuell scheinen sie mir schon zu elitär denken zu wollen, aber würde sich die Musik hier dann so natürlich anfühlen? Weiter geht es mit dem Instrumentalstück "Riding down the Miskatonic on a dead thing". Ist der Titel etwa ein Seitenhieb auf den "Circle of true doom", der von eben jenem "Miskatonic" Label und Forum aus seine totalitären Ansichten verbreitet (ist aber alles nur Spaß, okay? - der Red.)? Who the fuck knows. Man schwelgt entspannt in psychedelisch - folkigem 70er Sound, bei dem nur die doppelläufigen Leadgitarren gen neuerer Musik weisen. Deren Leitharmonien werden mit jeder Sekunde übrigens ein wenig verrückter. Ansonsten wäre das ein dahinschlendernder PINK FLOYD, ELP oder ANGE Song mit leichtem Chanson Einschlag, wenn man ihn dementsprechend belassen hätte. Wechsel. Ein tapsender Drumcomputer, der nur ganz leicht zu vernehmen ist. Spaciges Synthiewabern darüber und eben die doomige Leadgitarre mit betörenden Harmonien. Wir sind immer noch im selben Song. Dann kommt eine tonnenschwere Doomabfuhr mit zermalmenden Riffs und wiederum krankhaften Leads. Sehr interessant gestaltet.
AARNI haben anscheinend zuviele merkwürdige Drogen genommen, von denen eigentlich schon ein Bruchteil einen normalen Menschen in den spirituellen Zustand von Gemüse versetzt. Nun, der nächste Song wird es zeigen. "Aroused coiled splendour", hmm, hmm. Er wird von einem Männergesang eröffnet, der alten Volksgesängen der nordischen Gegenden entnommen scheint, nur mit englischem Text. Ein ruhiger Psychedelicfolkrock ist die Strophe, der Refrain ist wiederum jener folkloristisch - hymnenhafte Gesang mit wuchtiger Heavyrockuntermalung im Doomsound. Ein toller Song, natürlich, aber eben sehr düster, spartanisch, spröde, gar nicht so blumig und eben schlichtweg schön wie das Vorgängeralbum. Eher trist, der Entgültigkeit allen Seins ins Auge blickend. Der Gesang ist melodisch klar und tief, hat was von Frank Zappa mit finnischem Akzent. Phreak out! Erst die Hälfte des Albums ist vorbei und es ist jetzt schon eines meiner Highlights in diesem Jahr ob seiner progressiven Art.
"Logos", das war das Stück mit dem Crowley Text, beginnt mit sehr dunklem, melancholischem Klavierspiel und einer unaufdringlichen Bassbegleitung, dazu singt der Mastermind mit heller, sehr emotionsgeladener Stimme das Gedicht des Magiers. Auf einmal ein maschinelles Rauschen, dann dunkle Chöre, die einen okkulten Ritus besingen, fort sind sie. Nein, sie tauchen sporadisch aus dem Surren, Rauschen und Brummen der Maschine wieder auf. Eine Stimme trägt das "Bury me in a nameless grave" Gedicht vor, es ist Crowley persönlich. Die Chöre kehren wieder, ein Bass spielt eine sparsame Linie unter die Stimme, an verzerrte Glockenklänge erinnernde Synthiesounds erscheinen. Dann eine helle, zwitschernde Synthesizermelodie, welche an elektronische 70er Musik erinnert. Ein Drumcomputer gibt den Takt recht sachte und zurückhaltend an, darüber fetzt der Synthesizer total ab. Morbide, verdammt morbide. So tief in den elektronischen Krautrock und in die kosmische Musik trauten sich AARNI bisher noch nicht. Aber hey, was für eine widersinnige Atmosphäre. Und Herr Crowley darf noch weiter seinen Text rezitieren, kurz vor Ende des Stückes. "All along the watchtowers" beginnt mit einer leicht verzerrten Einleitung, die an die Hendrix Coverversion des Bob Dylan Songs erinnert, das Openingriff. Weg ist es, dafür quaken verschiedene Stimmen verfremdet okkulte Beschwörungen, eine schmierig doomige Gitarre mit sporadischen Beats untermalt setzt ein. Schräge minimalistische Melodien bilden sich im Hintergrund des Leitriffs. Krank! Dieser Song ist schräg und hässlich, man schmeckt förmlich den Duft des Zerfalls auf seiner Zunge. Ein wenig Dynamik kommt in das Stück, die Schrägheit bleibt. Hat was von den britischen Spacedoomdeathern ESOTERIC, aber nur rudimentär. Im Grunde ist das kein Vergleich, da die Engländer ja doch der Einförmigkeit frönen, während AARNI nach wie vor alle Schattierungen von SCHWARZ ausreizen.
Wer solche Musik macht und dabei noch nie in der Anstalt gelandet ist - und ich meine nicht die Sendeanstalt des öffentlich rechtlichen Radios - hat wohl irgendwo einen Stein im Brett. Im Grunde geht das hier gar nicht. Und nach wie vor sage ich, es ist genial. Da kommt eine ruhige, verträumte Passage in den Ultraschrägdoom hinein, ein merkwürdiger Trompetenklang, der auch vom Keyboard stammen kann, übernimmt die Leitmelodie. Es wird heller, auch beim harten Rock, der mit überzerrter Gitarre in Erscheinung tritt und seltsame, halb geflüsterte, halb gefauchte Vocals mit sich führt. Ein rasendes Deathmetalriff wird dann über die dahinträumende, unverzerrte Gitarre gespielt, flotte Drums setzen ein und der Sänger faucht bösartig drauflos. Allerdings ist der Deathmetal im Hintergrund und die Traumgitarre im Vordergrund. Hä? Don't ask me!
"Chapel perilous" fängt wieder harmlos an, als dahinschlenderndes Instrumentalstück mit schöner Gitarrenmelodie und folkiger Grundstimmung, die leicht ins melancholische einzutauchen scheint. Ein freimütig dahinexperimentierter Übergang mit unverzerrter E Gitarre bringt einen dann in eine Art schrägen Spacejazzmetal. Die Melodie ist ebenso eindringlich wie simpel. Kongas bilden den Rhythmus, schräge Leadgitarren und Riffs, dazu abzwitschernde Synthies und ein paar Freejazzeinlagen an der Gitarre. Und? Babygeschrei in einer völlig chaotischen Freiformpassage? Ich sag ja, bei AARNI muß man mit allem rechnen.
"The sound of one I opening" beginnt wiederum eher ruhig mit klarer E Gitarre und darüber einem tiefen, klaren, aber doch ein wenig wirr anmutenden Gesang. Gerade die Gitarre spielt eigentlich schöne Läufe, die aber oft sehr rasch in Schrägen abdriften, welche den Geist des Hörers reichlich verwirren können. Ich möchte das hier schon fast Jazzrock nennen, eben mit einer experimentell krautigen Kante. Avant Garde, Rock In Opposition (kurz RIO), ich weiß nicht genau, was ich hier zu hören bekomme. Ich weiß nur, daß es sehr phreakig ist. Gerade die später im Song auftauchende Heavypassage. Hier ist der zurückhaltende und doch irre Gesang im Vordergrund, die Metalgitarren dahinter. Wuchtig ist das nicht, aber sehr abgedreht.
"The battle hymn of the eristocracy" hatten wir oben ja schon besprochen, es folgt darauf das mit geheimnisvoller, ruhiger Gitarrenlinie eingeleitete "Barbelith", dessen Titel an den Namen eines Dämonen denken lässt. Das geht wieder von eingängigen Passagen a la Metalballade über folkigen Rock in Verbund mit schräger Psychedelik, jazzigen Elementen, Krautfeeling bishin zu generellem Wahnwitz. Eine Reise tief hinein in eine verdrehte Psyche.
And we've saved the most wicked for last? Wellenrauschen mit Strandfeeling, Möwengeschrei und grollendes Dämonengelächter, betörend düstere klare E Gitarren, die einzelne Akkorde schlagen, ein Grummeln und Tosen im Hintergrund, als würde sich aus dem Erdinneren eine neue, satanische Dimension zu uns hinaufschälen. Dann spacig - mystische Synthieläufe, die an kosmische Musik erinnern, während Wellenrauschen und Möwengeschrei immer noch irgendwie da sind. Natürlich kommen auch wieder diese typischen akustischen und klaren E Gitarrenläufe, welche an hypnotischer Monotonie kaum zu überbieten sind und von morbidem Sprechgesang überlagert werden. Eine E Gitarre singt uns auch mal schöne Leitmelodien. Hier und da zerrt eine weitere Elektrogitarre ihre Riffs über die beklemmende Atmosphäre, so daß ein brodelndes Doomgefühl in uns aufkommt. Auch "Iku - turso", welches mit guten elf Minuten Spielzeit als Longtrack gilt, ist kein einfach zu konsumierendes Stück Popmusik geworden. Zwischendrin darf geträumt werden. Es ist eine stilistische Melange aus Artrock, Folkrock und Doom. Aber auch das währt ja nicht ewig und so kommen immer wieder verquere, sperrige Momente des kompletten Irrsinns vor, die uns von den schönen Gedanken fortreißen.
AARNI machen sich mit diesem Album gerade bei den traditionell und orthodox denkenden Metal - und Doomfanatikern nicht viele Freunde. Wagemutige Experimental -, Avant Garde und Progressivefreaks, Krautrocker, die nicht in den 70ern stehengeblieben sind und freie Geister können sich hier aber garantiert eine gute Keule eigensinnigster Musik abholen. Volle ZEHN Punkte für den Mut und die freifließende Kreativität dieser Band!
10/10
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